Seersucker: Der Name geht auf den persischen Ausdruck shir o shekar zurück, der übersetzt «Milch und Zucker» bedeutet – die glatten Streifen symbolisieren Milch, die krausen verkörpern den Zucker. Diese Strukturen werden beim Weben durch unterschiedliche Spannungen des Kettfadens erzeugt. Lose eingestellte Kettfäden ergeben die welligen Partien, Kettfäden mit normaler Spannung die glatten. Manchmal wird die wellige Optik von Seersucker imitiert, dann ist die blasige Stoffstruktur auf eine Ausrüstung nach dem Weben zurückzuführen, zum Beispiel auf das Bedrucken mit Natronlauge. (Quelle: Stoff und Faden, Materiallexikon, Constanze Derham. 2023) Mich erinnert die Struktur von Seersucker an eine Wasseroberfläche, die von Wind leicht bewegt wird: Die kleinen Wellen verhindern einen klaren Blick unter die Wasseroberfläche. «Unten» und «oben» bleiben getrennt und die Sicht ist getrübt durch einen feinen Vorhang von Bewegung. So verhält es sich auch mit der textilen Fläche: Durch die feine Wellenstruktur liegt der Stoff nie ganz auf der Haut; es bleibt immer Pufferschicht zwischen Körper und Kleid wie auch zwischen Kleid und Welt. Ein schmaler, feiner, weicher Abstandhalter zwischen innen und aussen. Wie ist das eigentlich, wenn wir mit jemandem auf Tuchfühlung gehen? Es ist eine Annäherung, aber nie ohne das Wahren einer feinen Distanz. Bis zum Tuch - ja. Nie bis zur Haut. Es ist eine Kontaktaufnahme, ohne je ans Innerste zu gelangen. Die Kleider sind weit geschnitten und kommen in annähernden Einheitsgrössen daher. Offen getragen, halten sie noch mehr Abstand ein zwischen innen und aussen, als es der Stoff selber schon tut. Mit Gürtel getragen nähern sie sich eher der Figur der Trägerin an. Wo möchtest du am ehesten eine feine Berührung spüren, wenn jemand mit dir auf Tuchfühlung geht? Ich glaube, ein feines, sorgsames über den Nacken Streichen kommt, wenn du es gutheisst, einer respekt- und liebevollen Geste am nächsten. Sie bedeutet: Ich bin da. Auf Tuchfühlung zu gehen heisst, etwas besser erkennen und verstehen zu wollen. Die feinen Punkte an Nacken können als dekorative Stickerei betrachtet werden. Oder als etwas, das man berührt, um mehr zu sehen. Wer gewohnt ist, fühlend zu lesen, versteht diesmal mehr als alle anderen.
Die taktil lesbaren Brailleschriftbänder wurden gestickt durch Lieblingsstick, Antje, Müller, Leibzig.